Die Vielfalt des Spessartbundes

von Gerrit HimmelsbachIm Gespräch zeigen sich viele immer wieder überrascht über die Mitgliederzahl des Spessartbundes: „16.500 Mitglieder? Das hätte ich nicht gedacht.“ Tatsächlich verteilt sich diese Zahl auf über 90 Ortsgruppen zwischen Frankfurt und Würzburg. Dabei geht es nicht nur, aber vor allem um den Spessart, dessen reiche Geschichte die Grundlage für die Verschiedenheit seiner Bewohner bildet. Inzwischen ist der Spessart als vom Menschen geformte Kulturlandschaft etabliert, die einst Fenster für den Kölner und Bausteine für den Frankfurter Dom lieferte. Die sprichwörtliche Spessart-Armut war die vorletzte historische Epoche zwischen 1750 und 1950. Mit dem Wirtschaftswunder ging es steil bergauf, und großen Anteil daran hat der Rhein-Main-Raum. Die Menschen der Region sind mit der Zeit gegangen und haben dem Spessartbund in den 1960er und 1970er Jahren zu einem großen Aufschwung verholfen. Seither ist der Bund der Spechte stark gewachsen und die Frage ist erlaubt, warum sich 16.500 Menschen unter dem Dach des Spessartbundes zusammenfinden – zumal den Spechten in den vergangenen Jahren der Ruf anhing, sie hätten den Zug der Zeit verpasst. Das – so sei hier gleich vorangestellt – ist nicht der Fall. Wandern und Heimat sind immer aktuell, unabhängig von Trends und Moden.Die Bandbreite der Aktivitäten im Spessartbund ist beeindruckend. Beim Blättern durch den SpessartbundSpecht und die Nachrichten-Seiten in der Monatszeitschrift „Spessart“ wird sie uns vor Augen geführt: Die Spechte wandern gemeinsam, sitzen in Gesellschaft beisammen, helfen bei den Festen, halten Versammlungen ab, begehen Jubiläen, bauen und hängen Vogelhäuschen auf, spielen Mandoline und geben Konzerte, markieren über 5.000 km Wanderwegen, stellen Wegweiser auf, kümmern sich um die Wanderheime, erarbeiten Kulturwege, unternehmen Reisen, nehmen sich Urlaub für Kinderzeltlager, verfassen und verteilen Dorf- oder Stadtteilzeitungen, erkunden die Geschichte der Heimat, sägen viele Ster Holz und garen in der Asche Lakefleisch, präsentieren Feld und Wald in Führungen, schreiben Heimatlieder und -gedichte, unterhalten Aussichtstürme, bieten Familiennachmittage an, geben Jugendfortbildungen, gewinnen Mitglieder, begeistern sich für Radtouren, eröffnen Ausstellungen, gehen Nordicwalken, stehen dem Tourismus für Gästeführungen zur Verfügung, besuchen Kletterkurse, trinken Kaffee bei Seniorennachmittagen, veranstalten Fun-Events …. darf’s noch etwas mehr sein? Der Spessartbund bietet für diese Breite an Angeboten das Dach, unter dem sich jeder wohl fühlen kann. Es ist der Vorstandschaft daran gelegen, Impulse für die Zukunft zu setzen, denn die Gesellschaft wandelt sich ständig und wir müssen den Blick darauf richten und uns darauf einstellen.Gerade die Vielfalt seiner Aktivitäten zeichnet den Spessartbund aus und das Buch zum Jubiläum gibt eine Antwort auf die Frage, was wir und unsere Mitglieder in den letzten 100 Jahren bewirkt und für die Gesellschaft getan haben – eine Antwort, die mit ca. 300 Seiten ausführlich ausfällt, aber an vielen Stellen gekürzt ist. In Zahlen ausgedrückt: Drei Seiten pro Jahr sind zu wenig.Die Geschichte unseres nunmehr 100 Jahre alten Verbandes, der, wie die obige Aufzählung zeigt, nahezu allumfassend und doch nicht zu fassen ist, beschreibt den Spessartbund als eine Art Melting-Pot der Kulturlandschaft Spessart und seiner Randlandschaften. So verschieden die Aktivitäten der Mitglieder sind, so verschieden sind die Menschen, die sie ausführen. Den Hochspessart, der unsere Vorstellung des nahezu endlosen Waldes mit wenigen Siedlungsinseln geradezu perfekt erfüllt, verkörpern die Spessarter „Knorrn“ (bekannt als „Knan“ im 350 Jahre alten „Simplizissimus“ von Grimmelshausen). Die Senioren haben schwere Zeiten erlebt. Sie halten fest an dem, was die Armut aus dem Spessart vertrieben und sie alt und stark gemacht hat: Schwer arbeiten und für die Kinder sparen. Sie nehmen jetzt gerne selbst eine Auszeit und manches Seniorenehepaar macht sich auf den Weg mit dem Wohnmobil oder über den nahen Flughafen Frankfurt, um ein Stückchen der Welt zu entdecken. Die Vereine, die sie mit groß gemacht haben, müssen, sollen – oder sollen gerade nicht – nun andere und jüngere Spessarter führen. Doch auch die nächste Generation muss hart arbeiten, wenn auch auf andere Weise als die Senioren. Es geht nicht mehr um körperliche Schwerstarbeit, sondern um organisatorische Schwerstarbeit: pendeln zur Arbeit in den Rhein-Main-Raum oder nach Lohr, schuften für das Haus (trotz des Grundstücks von den Eltern), dabei die Kinder nicht vernachlässigen, die möglichst von den Großeltern gehütet werden sollen. Auch das schlaucht viele der Generation zwischen 40 und 60, deren Lebensqualität vor allem dadurch beeinträchtigt wird, dass fest einplanbare Zeit fehlt, insbesondere Freizeit. Der Anspruch des Berufs erfordert ständige Einsatzbereitschaft. Urlaub ja, aber dann kurzfristig. Wegen der Kinder ist diese Generation eingespannt in Kindergarten und Schule, Musik- und Sportverein. Da bleibt nicht mehr viel Raum für eigene Interessen, geschweige denn für einen Wanderverein, in dem die Senioren in der Mehrheit sind und ihre eigenen Ansprüche an das Vereinsleben haben, denen die Jungen nicht genügen können – man bleibt schließlich ein Leben lang Sohn oder Tochter …Im Vorspessart und in den Tallandschaften um den Spessart werden die Familien ähnlich beansprucht, doch ist das Umfeld hier bereits kleinstädtisch organisiert, d.h. viele Angebote, die der eigene Wanderverein bieten könnte, werden von Sportvereinen (Seniorenwandern), der Volkshochschule oder von der Gemeinde angeboten. Es ist vielfach bequemer, auf die Gemeinde (oder Stadt) zurückzugreifen, die Organisatorisches in die Hand nimmt und so Vereinsaufgaben überflüssig macht. Das Freizeit- und Kulturangebot ist breiter aufgestellt, der Spaziergang durch die Obstwiesen und Weinberge, der Gang in die Wirtschaft oder zum Häcker eine Verlockung, der man gerne nachgibt. Die jungen Leute wohnen zwar hier, aber sie gehen ihren eigenen Interessen nach (sie sind „individuell“), haben eigene Cliquen, wenn sie nicht schon zum Studieren oder Arbeiten weggezogen sind. Es gibt hier übrigens viele Zugezogene – doch keiner hat sie je gesehen. „Wenn ich da auf’s Fest gehe, kenn’ ich doch keinen – und alle starren mich an.“ Kinder waren früher das Bindeglied für „Fremde“, doch es gibt immer weniger Kinder und die Eltern haben immer weniger Zeit, sich um sie zu kümmern. Diesen Gesellschaftstrend gilt es zu durchbrechen und der Spessartbund kann dabei eine wertvolle Rolle spielen.Im städtischen Umfeld von Frankfurt-Rhein-Main, in Würzburg oder in Tauberbischofsheim, da wirken die Spessart-Fan-Klubs, große Vereine des Spessartbundes, als starke Impulsgeber. Hier ist der Uhrzeiger noch weiter vorgerückt – Vereine bieten wieder eine Heimat für Menschen Ü 50, die Anschluss suchen, für Kinder und Jugendliche, deren Eltern im großstädtischen Umfeld dankbar für intakte Verhältnisse und geregelte Aktivitäten sind. Die globalisierte Welt hat zu diesem Umdenken geführt, was aber nicht heißt, dass sich die Reihen der Vereine automatisch füllen, denn die Konkurrenz an Freizeit-Angeboten ist nahezu erdrückend. Als attraktiv erweist sich die Chance, Teil einer Gemeinschaft zu werden, die mehr als ein kurzzeitiges Zweckbündnis für einen Zeitvertreib darstellt. Der Wander- und Heimatverein wächst als Ergänzung (oder gar Ersatz) für die heute in aller Welt verstreute Familie. Unsere Gesellschaft nähert sich dem Wendepunkt, an dem Individualität nicht mehr das allein erstrebenswerte ist – die Ballungsraum- und Stadtvereine spüren dies zuerst.Bei all diesen Herausforderungen hat der Dachverband Spessartbund die Aufgabe, die motivierten Mitglieder zusammenzuführen, sie bei ihren Anliegen zu unterstützen und gemeinsame Positionen zu aktuellen Themen zu formulieren, wie zum Beispiel bei der Windkraft. Auch hierbei ist die Gemengelage differenziert: Die Vereine verteilen sich auf drei Bundesländer: Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Hinzu treten die Landkreise Aschaffenburg, Miltenberg, Main-Kinzig, Main-Spessart, Offenbach, Darmstadt, Tauberbischofsheim und Würzburg sowie die kreisfreien Städte Aschaffenburg, Frankfurt, Offenbach, Hanau und Würzburg – darin enthalten sind über 100 Gemeinden samt Stadt- und Ortsteilen. Die Mitglieder sprechen dieselbe Sprache und doch viele verschiedene Dialekte, besonders der Unterschied zwischen rheinfränkisch und mainfränkisch (besser: hessisch und fränkisch) und auch ein bisschen badisch steht nicht nur für sprachliche Unterschiede, sondern auch für kulturelle Akzente – über Äbblwoi und Moust hinaus: Zum Beispiel hat man auf der fränkischen Platte eine andere Einstellung zu Windrädern als im Spessart. Auch der Stellenwert von Fluglärm ist in Rhein-Main ein anderer als in Helmstadt bei Würzburg. Darüber hinaus kann man auch über die Beschaffenheit von Wanderwegen in Stadt und Land unterschiedlicher Meinung sein.Was, um wieder zum Anfang zurückzukommen, unsere Mitglieder am meisten beschäftigt, ist der Generationenwandel im Verein. Die Mehrheit im Spessartbund sind Senioren – sie alle haben ein großes Interesse, die über Jahrzehnte im Verein geleistete Arbeit und Tradition weiterzugeben. Dabei kann und will der Spessartbund Unterstützung leisten. Wir haben einige erfolgreiche Rezepte entwickelt – nachzulesen im Kapitel „Der Spessartbund 2006 bis heute“. Entscheidend dabei sind zwei gemeinsame Ziele, die wir alle, die hier leben, verfolgen.Das erste ist der Wunsch nach einer intakten und lebenswerten Heimat – dies ist sinnstiftend für den Spessartbund. Unsere Kinder sollen hier auch noch gerne leben (und arbeiten) können. Dafür setzen wir uns ein. Für das Erreichen dieses Zieles genügt nicht nur dieser vernünftige Grund – wie oft handeln wir schon aus reiner Vernunft? Es gehört dazu auch Emotion für die eigene Motivation und für die Motivation anderer: Der Weg zum Ziel soll Spaß machen, das Vereinsleben Sinn stiften. Das Öffnen gegenüber mancher Neuerung wird die eine oder andere Vereinstradition brechen – dafür werden neue Traditionen gelegt, die unsere Nachkommen mit Stolz aufbauen und weitertragen werden (so zum Beispiel in vielen Jahren das Jubiläum zur 50. Geo-Caching-Wanderung im Verein). Manche Vereine werden vergehen und dafür neue entstehen. Wir werden akzeptieren müssen, dass dies die Normalität und nicht die Ausnahme ist. Der griechische Philosoph Heraklit hat das so formuliert: „Das einzig Beständige ist der Wandel.“Mit seiner unglaublichen Vielfalt ist der Spessartbund im Grunde ein Ebenbild des Wandels – das ist seine Stärke und nirgends wird Heimat mehr verkörpert als in dieser einzigartigen Ansammlung regionaler Energie und Kompetenz. Heute gilt das mehr denn je.Hilfreich ist dabei ein Blick in die Vergangenheit auf Vorgänger und Vorbilder und auf den Strukturwandel der Gesellschaft im Spessartbund, der sich in der Geschichte der sozialen Herkunft seiner Mitglieder verfolgen lässt.

Wandern, unterwegs sein mit anderen, macht die Kernkompetenz des Spessartbundes aus.

Die Vielfalt des Spessarts – aus der Sicht des Spessartbundes.

Tradition und Moderne in der Ausstellung KUNST- RASEN im Jahr 2000 in Rohrbrunn.

Glas und Spessart gehören zusammen. Am besten erfahren dies Kinder und Jugendliche draußen vor Ort.

Am Äppeläquator bei Schollbrunn wird die Vielfalt auch unserer Sprache deutlich.

Im Austausch miteinander werden wir den Spessartbund erfolgreich in die Zukunft führen.

Impulse für die nächste Generation: Die Feuerwehr Röllfeld und die Frauentanzgruppe der Kirchgemein- de Breitendiel stellen den „Raub der Sabinerinnen“ als Kunstprojekt in einem Supermarkt nach – ein Projekt des ASP im Spessartbund im Jahre 2005.

Sportlich unterwegs.

Mandolinen- und Gitarrenmusik gehören zum Wanderverein Obernau.

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