Der Spessartbund von 1946 bis 1969

 

von Anika Magath

„Der Spessartbund lebt noch!“1 Mit diesem Aufruf begann sich der Spessartbund unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkrieges neu zu formieren. Zuvor hatten die Gleichschaltung der Vereine im Dritten Reich und eine Lähmung des öffentlichen Lebens während der Kriegsjahre die Aktivitäten des Spessartbundes nahezu vollständig zum Erliegen gebracht.  Nach 1945 bestimmten nun Neuordnung und Wiederaufbau sämtliche Lebensbereiche. Mit der Währungsreform endete allmählich die Not der ersten Nachkriegsjahre. Die sozialen Verhältnisse in Deutschland stabilisierten sich zunehmend, sodass auch das gesellschaftliche Leben wieder vermehrt eine Rolle spielte. So wurden „unverdächtige Vereine“ erneut zugelassen und bereits 1946 fanden sich die ersten Ortsgruppen zusammen. Der Neubeginn von Ortsgruppen erwies sich allerdings in vielen Fällen als schwierig, da für die Besetzung der Vorstandsposten nur „politisch einwandfreie´“ Personen, die nicht in die NSDAP eingebunden waren, in Frage kamen.
Auch der Spessartbund als Dachorganisation, vor allem Sanitätsrat Dr. Hans Hönlein, bemühte sich seit Ende 1945, „unseren Spessartbund so aufbauen zu können, wie er uns ehedem an’s Herz gewachsen war“2. Selbstbewusst stellte Hönlein in diesem Rundschreiben weiter  fest:  „Die Bundesführung liegt in meinen Händen.“3 Im Rundschreiben II „an Bundesfreunde“ informierte Hönlein: „Nun ist es soweit. Wir haben heute, den 27. April [1946!], im Gasthaus ‚Schlappeseppl‘ in Aschaffenburg auf Anregung des Kulturamtes der Stadt Aschaffenburg, unseren Spessartbund neu aus der Taufe gehoben.“4 Lizenziert und damit anerkannt wurde diese Aktion nicht, denn die Zulassung durch die zuständigen  Behörden ließ auf sich warten. Hönlein aber gibt nie auf. Am
28. September 1947 trafen sich in Aschaffenburg die Vertreter von 25 Ortsgruppen, von denen bereits 17 eine Lizenz erhalten hatten. Durch Abstimmung beschlossen sie die „Wiedererrichtung“ des Spessartbundes und berieten eine neue Satzung. Hönlein unterbreitete einen Vorschlag über die Zusammensetzung der neuen Bundesvorstandschaft – mit ihm als Vorsitzenden. Gleich nach der Sitzung entwarf er eine neue Satzung (mit Datum vom 28.9.1947), gab sie in Druck und schickte sie den Ortsgruppen zu. Erst Mitte 1948 bekamen die Bemühungen neuen Schwung.
Hönlein lud für den 9. Mai 1948 zu einer „letzten Vorbesprechung zum bevorstehenden Lizenzantrag“ des Bundes nach Kahl ein. In dieser „Hauptversammlung“4 wurde auf Vorschlag von Hönlein der Frankfurter Kaufmann Willy Windisch zum Bundesvorsitzenden gewählt, außerdem die weitere Vorstandschaft.5 Man legte Wert darauf, dass es um eine „Wiederbelebung“ und nicht um eine Neugründung geht. Welche Probleme die ersten Nachkriegsjahre mit sich brachten, mag ein Nota bene auf der Einladungskarte belegen: „Ein Mittagessen kann nicht verabreicht werden, dagegen wird gegen Abgabe von 25 Gramm Nährmittelkarten eine dicke Suppe ausgegeben.“  
Im Juni 1948 erfuhr man dann, dass der Lizenzierungszwang für unpolitische Vereinigungen aufgehoben ist.  
Mit einer Feierstunde am 31. Oktober 1948 in der Aschaffenburger Turnhalle wurde der Spessartbund schließlich offiziell wieder gegründet. Eine erneute Wahl fand nicht statt. Die in Kahl Gewählten wurden durch Handschlag verpflichtet.
Schon im Juli des nächsten Jahres feierte der Verband in Kahl am Main das erste Bundesfest nach einer zehnjährigen Pause.
In den ersten Jahren waren die Aktivitäten und Zielsetzungen des Spessartbundes vor allem von
Wiederbelebungs- und Restaurierungsmaßnahmen geprägt. Verwaltungs- und Organisationsstrukturen wurden verbessert. Neben der Gründung neuer Ortsgruppen und der Anwerbung neuer Mitglieder setzte man vermehrt auf eine Förderung der Jugendarbeit. Auch der Heimatgedanke war ein zentrales Anliegen. Die „Heimat Spessart“ sollte nicht nur erwandert, sondern auch die damit verbundenen Traditionen und Bräuche neu belebt werden. Einen weiteren Schwerpunkt sah der Spessartbund in der Förderung des Fremdenverkehrs. Im Laufe der sechziger Jahre spielten schließlich der Natur- und Landschaftsschutz eine immer größere Rolle.
In der Besetzung der Positionen im Bundesvorstand kam es in den fünfziger und sechziger Jahren zu wenig Wechseln.
Willy Windisch wird 1952 im Amt des Ersten Vorsitzenden einstimmig bestätigt. Unter seiner Leitung konnte der Spessartbund in der Nachkriegszeit erfolgreich wiederbelebt werden.
1954 trat Windisch nicht mehr zur Wahl an. Sein Nachfolger, Landrat Dr. Heinrich Degen aus Alzenau, wurde nahezu einstimmig zum Vorsitzenden berufen und blieb 16 Jahre lang an der Spitze des Spessartbundes. Für ihn spielte besonders die Verbindung von Wanderverein und Heimatpflege eine große Rolle. Im März 1954 rief er eine Arbeitsgemeinschaft für Heimatforschung ins Leben. Wegen seiner überaus regen Aktivitäten und seiner Volksnähe wurde er immer wieder gerne als „Vater des Kahlgrunds“ bezeichnet. Anfang 1970 verstarb Dr. Heinrich Degen.
Um die Verbindung und Kommunikation mit dem Bundesvorstand zu verbessern, hatte man die Ortsgruppen bereits 1917 zu Gauen zusammengefasst. Waren diese vorher eher „Zufallsinseln in der weiten Landschaft“, wurde 1955 und nochmals 1962 eine Neuordnung der Gaue beschlossen. Die Aufteilung orientierte sich nun vermehrt an der politischen Gliederung in Städte und Landkreise. Gleichzeitig veranschaulichen die Namen die räumliche Ausdehnung des Spessartbundes: Für den hessischen Spessart bestanden die Gaue „Nord“, „Frankfurt“ und „Seligenstadt“, auf der bayerischen Seite wurde die Einteilung in „Aschaffenburg-West“, „Hohe Warte“, „Aschafftal“, „Kahlgrund“, „Maintal“, „Lohr“, „Taubergrund“, „Marktheidenfeld“ und „Gemünden/Würzburg“ festgelegt.6 Der Gauvorsitzende sollte die Interessen der Gaue sowohl beim Bundesvorstand als auch bei den Landkreisen, Heimatpflegern und Beauftragten für den Natur- und Landschaftsschutz vertreten.7
Eine Ermittlung der konkreten Mitgliederzahlen für den Spessartbund in den fünfziger und sechziger Jahre gestaltet sich schwierig. Eine statistische Erhebung ist aufgrund einer eher mangelhaften Rückmeldung der Ortsgruppen auf die Anfragen durch den Bundesvorstand nur vage möglich. Auch mit Hilfe der seit 1952 neu ausgegebenen Mitgliederausweise lässt sich kein präziser Stand ermitteln. Der Aktivitätsgrad der einzelnen Ortsgruppen war generell sehr unterschiedlich. Häufig verschwanden Neugründungen innerhalb kurzer Zeit wieder aus dem Verzeichnis. Der Bundesvorstand appellierte immer wieder an die Ortsgruppen gezielt Mitglieder zu werben. Ein erfolgreiches Anwerben neuer Mitglieder wurde seit 1951 sogar mit einem Abzeichen belohnt.8

So ist für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein kontinuierliches Anwachsen der Mitglieder- und Ortsgruppenzahlen im Spessartbund zu verzeichnen. Nach seiner Neugründung umfasste der Verein 1948 etwa 2300 Personen in 40 Ortsgruppen. Bis zu seinem vierzigjährigen Bestehen 1954 konnte er seine Mitgliederzahl auf ca. 5000 Wanderer in 73 Ortsgruppen mehr als verdoppeln.9 Am Ende der fünfziger Jahre war die Anzahl der Mitglieder auf etwa 6000 gestiegen. Die Zahl der Ortsgruppen hingegen sank auf etwa 60. Zu Beginn der siebziger Jahre umfasste der Spessartbund schließlich über 7000 Mitglieder in etwa 70 Ortsgruppen.10

Ziel des Wanderverbandes war es, alle Altersgruppen gleichermaßen zu erfassen. Besonders die Jugend wollte man für das Wandern begeistern. Einen entsprechenden Grundsatz zur Förderung des Jugendwanderns hatte man bereits in die Satzung von 1927 aufgenommen und 1930 das Amt des Jugendwarts geschaffen. Dieser sollte die Jugendgruppen betreuen und deren Arbeit koordinieren. Im Zuge der Gleichschaltung im Dritten Reich wurde die freie Jugendarbeit eingestellt. Nach 1945 und der Neugründung des Spessartbundes wuchs neben steigenden Mitgliederzahlen durch gezielte Unterstützung auch die Anzahl der jugendlichen Wanderer. Sie waren – unabhängig von den Ortsgruppen – in Jugendgruppen organisiert. Mit einem Stand von etwa 510 Jugendlichen in 22 Gruppen im Jahr 1952 konnte der Spessartbund sechs Jahre später den höchsten Stand mit etwa 2000 Jungwanderern verzeichnen. Bis 1969 sank die Mitgliederzahl auf ca. 1800 Jugendliche in 41 Ortsgruppen.11 Ein kontinuierlicher Rückgang der Jungwanderer seit dem Ende der sechziger Jahre lag nicht zuletzt daran, dass Jugendliche nicht mehr selbstverständlich über die Elterngeneration in den Wanderverein integriert wurden.
Im Oktober 1951 fand in der Jugendherberge in Lohr am Main die erste Tagung der Jugendwarte des Spessartbundes statt. 22 Jugendwarte aus 11 Ortsgruppen nahmen daran teil.  Im Rahmen verschiedener Vorträge wurden ihnen Ratschläge für eine planvolle Umsetzung von Wanderungen an die Hand gegeben und sie gleichzeitig im Sinne einer „geistigen Vorbereitung“ zur Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Brauchformen der Region Spessart aufgefordert. Auch sollte es nicht darum gehen, möglichst viele Mitglieder zu werben, sondern kleine zielorientierte Gruppen aufzubauen.12 Auf der zweiten Arbeitstagung im darauf folgenden Jahr, bei dem 36 Jungwarte in Schweinheim zusammen kamen, standen in erster Linie Wandern und Landschaftsschutz im Mittelpunkt. Die Jugendlichen wurden dazu angehalten, die Naturschutzaktivitäten des Spessartbundes zu unterstützen:
„Die wandernde Jugend kann beim Naturschutz praktisch mithelfen, indem sie ihre Rastplätze sauber hält, nicht Bäume schädigt, sondern bei der Aufforstung mithilft und Bäume pflanzt, indem sie keinen Flurschaden anrichtet, beim Feueranzünden alle forstpolizeilichen Vorsichtsmaßregeln beachtet und keine Vogelnester ausnimmt, sondern für unsere Singvögel Nistkästen bastelt, sachgemäß aufstellt und laufend kontrolliert“13
Um die Jugendarbeit des Verbandes auch mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, wurde auf einer Tagung des Bundesvorstandes in Heigenbrücken 1952 die Einführung einer Jugendspende von 20 Pfennig beschlossen.14 Damit konnte unter anderem die Teilnahme an Jugendzeltlagern bezuschusst werden.
Im Juli 1953 fand in Hain ein gemeinsames Zeltlager der „Spessarter Wanderjugend“ mit „Spiel und Sport, Wettstreit, frohe Lagerrunde, Feiergestaltung, Wandern, Singen, Volkstanz, Musizieren und Volkstumsarbeit“ statt.15 Zudem wurde den Jugendgruppen innerhalb des Spessartbundes die Möglichkeit gegeben, am jährlichen Zeltlager des Deutschen Wanderverbandes teilzunehmen. Ein wenig konservativ muten heute die vorgegebenen Kleider- und Benimmvorschriften an, auf deren Einhaltung in einer Ankündigung explizit hingewiesen wurde:
„Die Kleidung der Deutschen Wanderjugend ist frei von modischem Tand (Dreiviertelhosen für Mädchen, bunte Käppchen und Cowboy-Hemden für Jungen sind unerwünscht). Das Auftreten der Jugendlichen ist frisch, fröhlich und natürlich. Kurze Hosen und einfarbige Fahrtenhemden für die Jungen sowie Dirndl- oder Wanderkleider für die Mädel sind die richtige Kleidung“16
Dass man allerdings modernes Leben und Heimatverbundenheit im Spessartbund durchaus vereinbaren konnte, macht eine Auto-Rallye deutlich, die der Wanderverband im September 1969 erstmals veranstaltete. Vom Schlossplatz in Aschaffenburg starteten 27 Fahrzeuge in Richtung Spessart. Jedes Teilnehmerteam bekam einen Fragebogen ausgehändigt, mit dem ein breites Wissen über die Region abgefragt wurde. Auf der Strecke mussten immer wieder verschiedene Kontrollstationen angefahren werden, die nicht ohne weiteres als solche zu erkennen waren. So war die erste Station als Unfallwagen getarnt, bei der man die Fahrer testete, ob sie bei einem Unfall Hilfe zu leisten bereit waren. Der erste Siegerpokal ging an die Ortsgruppe „Fidelio“ Schweinheim.17  
Neben den einzelnen Aktionen der verschiedenen Ortsgruppen, die je nach Engagement der Vereine mehr oder weniger ausgeprägt stattfanden, sowie den zahlreichen Gau- und Sternwanderungen bildete vor allem das Bundesfest die zentrale Feier im Jahr und war gleichzeitig Höhepunkt des Vereinslebens. Nach zehnjähriger Pause in der Zeit des Dritten Reiches konnte am 17. August 1949 die Tradition des jährlichen  Bundesfestes in Kahl am Main fortgeführt werden. 1963 feierte der Spessartbund mit einem großen Rahmenprogramm in Schweinheim sein 50jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums nahmen auch einige prominente Gäste wie der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel, der oberbayerische Regierungspräsident Adam Deinlein und der unterfränkische Regierungspräsident Heinz Günder an den Feierlichkeiten teil. Höhepunkt bildete ein Festzug mit zahlreichen Trachtengruppen und Musikkapellen durch Schweinheim, an dem sich fast 5.000 Menschen beteiligten.18  
Mit der Wiederbelebung des Festes auf der Geishöhe im Jahr 1950 versuchte man an eine Feiertradition anzuknüpfen, bei der vor allem die Jugend, aber auch die Pflege von lokalen Traditionen in den Mittelpunkt rückten. Bei diesem „Heimatfest“ sollten Volks- und Trachtentänze wiederbelebt werden. So traten Frauen in der Frammersbacher Gippentracht auf sowie eine Schefflertanzgruppe aus Stadtprozelten. Gleichzeitig stand das Fest auf der Geishöhe auch im Zeichen der Integration von Heimatvertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Spessart angesiedelt wurden. Neben regionalen Trachtengruppen zeigten auch „Neubürger aus dem Sudetenland beim Festakt ihre bunten Volkstänze“.19
Wird Wandern heute häufig mit sportlicher Aktivität in Verbindung gebracht, spielte besonders in den fünfziger Jahren der Begriff „Heimat“ – natürlich im Zusammenhang der  damaligen  Auffassung und Interpretation – sowie die damit verbundene Pflege und Wahrung von Traditionen bei den Aktivitäten des Spessartbundes eine große Rolle. Deutlich wird dies nicht zuletzt in der Zeitschrift „Spessart“, die im Juni 1950 neu aufgelegt wurde und mit der Rubrik „Nachrichten aus dem Spessart“ dem Bund und seinen Ortsgruppen eine Plattform für Neuigkeiten, Termine und Vereins-tätigkeiten gab. Gleichsam ist die Publikation ein Spiegel herrschender Mentalitäten:
„Unsere Hauptverpflichtung. Die hohen Aufgaben, die sich der Spessartbund gestellt hat, beseelten immer wieder beste Söhne und Töchter unseres Spessarts ihre ganze Kraft für die Heimat einzusetzen. Unsere Heimat und ihre Menschen sind in großer Not. Viele Einheimische sind nahe dabei, ihre Heimat und damit sich selber zu verlieren. Wie den aus ihrer Heimat Vertriebenen erwächst auch ihnen die Gefahr, heimatlos zu werden. Heimatlose Menschen, Menschen, die nicht mehr im Heimatboden, im Dorf, in der Familie, im althergebrachten Väterglauben wurzeln, werden sich selber untreu und damit unbrauchbar für die Gemeinschaft, für Volk und Vaterland. Diese Gefahr müssen wir bannen. Wir sind verpflichtet, Kenner, Hüter und Mehrer des reichen Schatzes unseres Volksgutes zu sein.
Wir wollen uns unsere Spessartheimat erwandern. Erst dann können wir die Heimat von Herzen lieben, wenn wir sie in ihrem ganzen Bereich kennen. Dann wird uns die Heimat werden zum Vater, der uns die Kraft lehrt zum „Ja“ in dieser ernsten Zeit. Dann wird uns die Heimat umfangen wie eine Mutter und uns einladen, auszuruhen in ihrem Schoß von der Unruhe und Hast unserer Tage. Dann wird uns die Heimat verpflichten, der Jugend unsere Liebe zur Heimat zu vermitteln, dann werden wir alle aus dem tiefen Erleben der Heimat miteinander verbunden“20
Wirkt heute der hier formulierte „Heimatbegriff“ bisweilen ein wenig antiquiert, spiegelt er doch sowohl die Mentalität als auch die soziale Situation und Sehnsüchte in der Nachkriegszeit wider. So erfährt „Heimat“ regelmäßig in Zeiten persönlicher und gesellschaftlicher Krisen eine Aufwertung. Während sich Vereinsleben und Struktur mit den gesellschaftlichen Umwälzungen im Zeitgeist der 68er änderten, hatten viele Aktivitäten des Spessartbundes in den fünfziger Jahren einen stellenweise stark romantisierten Hintergrund. Volkstanzvorführungen, Volks- und Wanderlieder sowie Trachtengruppen waren vor allem bei den jährlichen Bundesfeiern ein fester Bestandteil. Für die Jugendgruppen wurden in regelmäßigen Abständen Lehrgänge angeboten.
So fanden sich 30 Teilnehmer der „Wanderjugend im Spessartbund“ im November 1955 zu einem Volkstanzlehrgang in der Jugendherberge in Lohr zusammen. Erprobt wurden dabei  Tänze wie der „Schwedentanz“, der „Rhöner Bauertanz“ oder die „schwedische Polka“21, die allerdings kaum regionalen Bezug hatten. Durch eine Armutsperiode, von der die Region von etwa 1750 bis 1950 betroffen war, konnten sich im Spessart nur bedingt Traditionen wie Volkstänze oder eigene Trachten herausbilden. Aus dem Bedürfnis heraus, Kulturwerte und Heimat darstellen und ausdrücken zu können, wurden dabei häufig kulturelle Elemente von außen übernommen.
Trotz der stellenweise romantisch verklärten Auffassung von der eigenen Region leistete der Wanderverband bis heute wichtige Beiträge zur Auseinandersetzung mit der eigenen Landschaft und Identität. Dass Heimatpflege in erster Linie von Vereinen ausgeht, beweist die Arbeit des Spessartbundes. Sichtbar wird dies nicht nur in den zahlreichen geschaffenen und betreuten Wanderwegen, sondern auch in den vielen Initiativen im Bereich des Landschafts- und Naturschutzes.

In seiner Funktion als Wanderverband nahm die Einrichtung und Instandhaltung von Wanderwegen, allgemein die Gestaltung und Pflege des Spessarts als Erholungsraum eine zentrale Rolle innerhalb der Aktivitäten des Spessartbundes ein. Diese Arbeit war zu einem großen Teil auf  die ehrenamtliche Initiative der Ortsgruppen zurückzuführen. Schon vor der Gründung des Spessartbundes hatten sich die bis dahin bestehenden Vereine auf einen Markierungsplan mit einheitlichen Wegebezeichnungen geeinigt, an dem man mit einigen Veränderungen festhalten konnte. Mit dem Amt des Bundeswegewarts, das Hans Aichinger 1933 erstmals übernahm, wurde die Wegemarkierung in der Region auf den Spessartbund zentralisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten zahlreiche Wege neu markiert werden. Da sowohl finanzielle Mittel als auch ehrenamtliche Helfer aus den sich erst allmählich wieder konstituierenden Ortsgruppen schwer zu finden waren, verlief eine Instandsetzung in den Anfängen nur langsam an. Allerdings konnten bis 1950 bereits 2800 km der vom Spessartbund angelegten Wege neu markiert werden.22

1951 übernahm Toni Welzbacher das Amt des Bundeswegewarts. Im selben Jahr bestätigten die bayerische Regierung und die Oberforstdirektion in Würzburg dem Wanderverband erneut ein alleiniges Markierungsrecht im bayerischen Spessart. Um „unklare Verhältnisse zum Schaden der Wanderer und somit auch des Fremdenverkehrs“ zu verhindern, wurde die Befugnis damit ausschließlich dem Spessartbund übertragen.23 Für das Anlegen und Markieren der Wanderwege sollte mit den zuständigen Forstämtern zusammengearbeitet werden. 1964 wurde dieses Vorrecht erneut bestätigt. Vom Bundeswegewart erhielten die Ortsgruppen Richtlinien und Anleitungen für das Anbringen der Wegemarkierungen. Auch Material und ein Ausgleich für entstehende Unkosten, finanziert aus den Mitgliederbeiträgen, stellte der Bund zur Verfügung. Neue Wanderwege wurden nicht nur für den „Eigenbedarf“ angelegt. Besonders in den fünfziger Jahren wollte man den Spessart als Tourismusregion attraktiver gestalten, um nicht zuletzt der wirtschaftlich eher schwachen Region neue Impulse zu geben. Von Anfang an arbeitete der Spessartbund mit den Tourismus- und Verkehrsverbänden, Forstämtern und Jugendherbergswerken zusammen. 1950 erschien mit dem „Wegweiser durch den Spessart und das Maintal“ ein offizieller Wanderführer.24 Zudem wurde in regelmäßigen Abständen in Kooperation mit dem Naturpark und Gebietsausschuss eine Spessartkarte herausgegeben. Mit der Pflege der Wanderwege sowie der Errichtung von zahlreichen Unterstandhütten, Gedenksteinen und Ruhebänken leistete der Spessartbund einen bedeutenden Beitrag für eine attraktive Gestaltung des Spessarts als Erholungsraum.
Mit der zunehmenden Motorisierung der Bevölkerung, die nun häufiger am Wochenende mit dem Auto Wanderregionen ansteuerte, reagierte der Verband deutscher Gebirgs- und Wandervereine mit der Einführung einheitlich gestalteter Rundwanderwege. Dafür wurden ausgewiesene Parkplätze als Anlaufstellen geschaffen. Auch im Spessart begann man 1964 mit der Einrichtung erster Rundwanderwege. Eine Orientierungstafel am jeweiligen Ausgangspunkt informierte über Länge und Verlauf des Weges.25  Erstmals beteiligte sich der Spessartbund an den vom deutschen Gebirgs- und Wanderverein initiierten verbandsoffenen Ferienwanderungen. Die Gäste, die dafür aus ganz Deutschland in den Spessart anreisten, wurden im Ernst-Klug-Haus in Goldbach einquartiert, von wo aus täglich geführte Wanderungen in die Region starteten.26
Allerdings rief die zunehmende infrastrukturelle Erschließung des Spessarts auch Bedenken hervor. Zwar gewann der Fremdenverkehr durch den Bau der Autobahn zwischen Aschaffenburg und Würzburg in den fünfziger Jahren zusätzliche Impulse. Dennoch wurden die ersten Planungen über den Verlauf der Strecke vom Spessartbund stark kritisiert. Im Mai 1952 legte der Wanderverband „im Auftrag der Spessartbevölkerung“ offiziell Protest gegen die von der bayerischen Regierung geplante Linienführung über das Aschafftal und Weibersbrunn in Richtung Lohr oder Haslochtal ein. Bei diesem Streckenverlauf sah man eine Gefahr für die dort befindlichen Eichen- und Buchenbestände und befürchtete, dass der Spessart mit diesem Verlust deutlich an Attraktivität verlieren würde. Der Spessartbund schloss sich der Meinung des Würzburger Regierungsforstamtes an, die Autobahn auf eine südlichere Linie zu verlegen. 1953 wurde die geplante Hafenlohrführung zugunsten einer Diagonallinie aufgegeben.27

Nahm in den ersten Jahren der Nachkriegszeit eine Erschließung des Spessarts im Sinne einer Heimathilfe eine zentrale Stellung bei den Aktivitäten des Spessartbundes ein, rückte der Natur- und Landschaftsschutzgedanke im Verlauf der sechziger Jahre immer mehr in den Mittelpunkt:
Der Spessartbund und insbesondere seine Randgebirge mit ihren Waldhängen, Wald- und Feldwegen, mit ihren Ausblicken und Ruheplätzen sind durch die Errichtung von Wochenendhäusern und durch Ankauf von Liegenschaften in großer Gefahr, verunstaltet und den Dorfbewohnern, den Wanderern und Erholungssuchenden, aber auch dem gelenktem Fremdenverkehr entzogen zu werden. Diese Sorge um den Spessart wächst zusehends, da sich die Anträge auf Erlaubniserteilung zum Bau von Wochenendhäusern ständig häufen. Die Anrufe an den Spessartbund aus der Bevölkerung und von verantwortungsbewussten Persönlichkeiten werden so dringlich, dass nun mehr der Spessartbund sich aus seinem Auftrag heraus verpflichtet fühlt, die Regierung von Unterfranken dringlich zu bitten, schnellstens alles zu veranlassen und zu verordnen, was notwendig und geeignet ist, die Spessartlandschaft zu schützen und das einmalige Erholungs- und Wandergebiet für die Menschen nicht noch mehr einengen zu lassen, sondern zu erhalten.“28  
1955 wurde der bayerische Teil des Spessarts zum Landschaftsschutzgebiet erklärt und fünf Jahre später in „Naturpark“ umbenannt. Im Oktober 1963 rief man schließlich den Verein „Naturpark Spessart“ ins Leben, an dem sich zahlreiche Institutionen beteiligten. Die Region wurde damit zum ersten Naturpark Bayerns. Mit der Wahl von Heinrich Degen war der 1. Vorstand des Spessartbundes gleichzeitig auch 1. Vorsitzender des neu gegründeten Vereins. Degen forderte vor allem, den Spessart als Naturpark auch länderübergreifend wahrzunehmen. Mit dem Ziel, die Region „als Erholungsgebiet zu erhalten und zu pflegen und die heimische Tier und Pflanzenwelten zu schützen“29,  unterstützte der Spessartbund von Anfang an die Vereinsgründung:  „Der Spessartbund stellt alle seine Kräfte, Erfahrungen und Möglichkeiten dem Verein zur Verfügung. Der Spessartbund – seit 50 Jahren Treuhänder des Spessarts – gibt der Erwartung  Ausdruck, dass ihm innerhalb des Vereins „Naturpark Spessart“ auf Grund seiner 50jährigen Tätigkeit und seiner ihn auch weiterhin verpflichtenden Aufgaben im Spessart eine entsprechende Mitwirkung gesichert wird.“30  
In Zusammenarbeit mit dem Naturpark setzte der Spessartbund schließlich neue Formen von Wanderwegen um. Auf sogenannten Waldlehrpfaden sollte gezielt die Botanik und Tierwelt des Spessarts aufgezeigt und erläutert werden. 1966 entstanden die ersten Lehrpfade in Rohrbrunn mit dem „Rohrberg“, in Heigenbrücken mit dem „Bächlesgrund“ und in Schöllkrippen mit der „Alten Burg“. Mit dieser Art von Wanderwegen richtete man sich in erster Linie an Schulklassen. So war die Nähe von Jugendherbergen und eine einfache Zugänglichkeit für Schulen ein wichtiges Kriterium für die Auswahl des Ortes. Nur drei Jahre später konnten bereits 12 Lehrpfade als „lebendige Naturlehrbücher“ angeboten werden.31
Bis zum Ende der sechziger Jahre hatte sich der Spessartbund in der Region wieder fest etabliert. Mit der Organisation der einzelnen Ortsgruppen innerhalb des übergreifenden Verbandes konnte der Verbund geschlossen auftreten und so den Spessart nachhaltig gestalten. Das wird nicht zuletzt in den so zahlreich geschaffenen und markierten Wanderwegen deutlich, die die Mitglieder der Ortsgruppen ehrenamtlich betreuen. Der Spessartbund bot ein umfangreiches Freizeitangebot, das weit über das Wandern hinausging. Gleichzeitig erfüllte das Vereinsleben das Bedürfnis der Menschen nach Geselligkeit und Gedankenaustausch unter Gleichgesinnten. Die Aktivitäten spiegeln dabei sowohl Zeitgeist als  auch Mentalität und Bedürfnisse der Bevölkerung in den fünfziger und sechziger Jahren wider. Spielten in der Zeit nach der Neugründung des Vereins kulturelle Heimatpflege und Traditionsbewusstsein eine große Rolle, erwuchs dies nicht zuletzt aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und „heiler Welt“ und ist dabei im Zusammenhang mit der sozialen Not während der Nachkriegszeit zu sehen. Mit Beginn der sechziger Jahre waren die Aktivitäten des Spessartbundes stärker bestimmt von Reaktionen auf Veränderungen in der Landschaft. Ein Rückgang der Landwirtschaft, der zunehmende Fremdenverkehr und der Ausbau der Infrastruktur schufen neue Herausforderungen: Unter dem Aspekt des Natur- und Landschaftsschutzes als zentrale Aufgabe des Wanderverbandes musste für die Gratwanderung einer zunehmenden Nutzung des Spessarts als Tourismusregion und seiner gleichzeitigen Erhaltung als Naturraum ein Ausgleich gefunden werden. Mit der Gründung des Naturparks Spessart zeichneten sich dabei erste Anzeichen eines sanften Tourismus ab, bei dem sensiblere Bereiche der Region bewahrt werden sollten.

Das Erwandern der eigenen Heimat als erklärtes Ziel des Spessartbundes sollte nicht nur zur konkreten Auseinandersetzung mit der eigenen Landschaft, sondern gleichzeitig auch zu einer höheren Wertschätzung führen. Schon Ende der sechziger Jahre hatte der Wanderverband damit die Bedeutung und den Wert der Kulturlandschaft Spessart für die Bevölkerung erkannt.

 

Quellen und Anmerkungen:
1    Keimel, G.: Der Spessart ruft. In: Spessart, Juni 1950.
2    Rundschreiben I, Dezember 1945, Archiv des Spessartbundes, Ordner 1945/48.
3    Ebenda.
4    Rundschreiben II, Anfang Mai 1946, Archiv des Spessart-bundes, Ordner 1945/48.
5    Main Echo , 11.5.1948.
6    Vgl.: Keller, Hermine: Geschichte, Organisation  und Tätigkeiten des Spessartbundes. (Zulassungsarbeit) 1970. (S. 109 ).
7    Archiv des Spessartbundes, Ordner 1945/48
8    Spessart, April 1962.
9    Spessart, April 1951. 7 Spessart, März 1954.
10    Keller, Hermine: (S. 48).
11    Ebd.: (S. 48).
12    Spessart, Dezember 1951.
13    Spessart, März 1952.
14    Main Echo, 26.5.1952.
15    Spessart, Juli 1953.
16    Spessart, Juli 1955.
17    Spessart, Oktober 1969.
18    Spessart, o. A.
19    Main Echo, 6.8.1950.
20    Heinrich Degen nach seiner Wahl zum 1. Vorsitzenden des Spessartbundes. In: Spessart, März 1954.
21    Spessart, Januar 1955.
22    Vgl.: Keller, Hermine: (S. 76).
23    Spessart, Juli 1951.
24    Keller, Hermine: (S. 76). 
25    Ebd.: (S. 79).
26    Spessart, 1964.
27    Main Echo, 26.5.1952
28    Resolution des Bundesvorstand 1959. Zit. n. Keller, Hermine: (S. 87).
29    Main Echo, 2.11.1963
30    Spessart, August 1963.
31    Spessart, August 1968.

Bildnachweis:
Soweit nicht anders angegeben, stammen alle Abbildungen aus dem Archiv des Spessartbundes.

Einladungskarte für die erste Zusammenkunft von Ortsgruppen des Spessartbundes am 28. 9.1947

Gesellige Zusammenkünfte waren jetzt wieder möglich, wie hier am 26. Dezember 1949 bei den Freien Wandervögeln in Goldbach.

Der 31. Oktober 1948 gilt als Tag der Wiedergründung des Spessartbundes.

Die 1948 neu gewählte Vorstandschaft des Spessartbundes. Hintere Reihe v.l.: Toni Welzbacher (Bundeswegewart), Josef Kraus (Kassier). Vordere Reihe v.l.: Hans Aichinger (Bundeswegewart), Willy Windisch (Bundesvorsitzender), Dr. Hans Hönlein (Ehrenvorsitzender), Willi Schneider (Bundeswanderwart), Berta Selbert (Schriftführ erin), Georg Goldhammer

1950: Essensausgabe auf der 5. Pflichtwanderung der Goldbacher Freien Wandervögel auf dem Weg nach Johannesberg

Das Geishöhfest mit dem Zeltlager für die Jugendlichen erlebte eine Renaissance (1950)

Blick auf den gut besuchten Festplatz (Geishöhfest am 18.6.1950)

Der „Spessart“ erscheint wieder.

Anfang der 50er Jahre entstanden viele Jugendund Musikgruppen, gern gesehen und gehört nicht nur bei Festzügen.

Spessartbund-Mitglieder markieren das „rote Dreieck“ (Juni 1950, Nähe „Saukaut“).

Der Schutz der Spessartlandschaft ist ein Hauptanliegen des Spessartbundes. Der Spessartbund war Hauptinitiator des 1963 gegründeten Naturparks Spessart.

1961: Junge Wanderer aus Rottenberg unterwegs auf dem Eselsweg (Foto: Konrad Weigel)

Landrat Dr. Heinrich Degen, hier mit Ministerpräsident Alfons Goppel beim Bundesfest 1959 in Lohr, leitete den Spessartbund von 1954 bis 1970. (Foto: Toni Welzbacher, Archiv Main-Echo)

Plakette zum 62. Deutschen Wandertag in Lohr

Großartige Organisationsarbeit leisteten der Spessartbund und die Ortsgruppe Lohr bei der Durchführung des Deutschen Wandertages 1961 in Lohr.

Wandergruppe aus Heigenbrücken (1950)

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