Der Spessartbund von 1970 bis 2006

 

von Daniel Arandjelovic

Heimatverbundenheit spielt im sozialen Netzwerk des Spessartbundes eine große Rolle. Zu Beginn der 1970er Jahre trat eine neue Herausforderung hinzu, welche die Heimat bedrohte: die Umweltverschmutzung, deren Ausmaße immer offensichtlicher wurden. Der Spessartbund stellte sich dieser Herausforderung, indem er Bürgerengagement förderte und sich über basisdemokratische Mitbestimmung und parteiübergreifende Interessenartikulation für den Natur- und Umweltschutz einsetzte.
Nachdem der bisherige Bundesvorsitzende und Landrat des Kreises Alzenau, Dr. Heinrich Degen, überraschend verstorben war, folgte ihm Forstdirektor Josef Braun nach. Er erkannte den „Naturschutz der Praxis“ und antwortete dem Main-Echo 1970 in einem Interview auf die Frage, ob es den Spessartbund noch im Jahre 2000 gäbe: „Wir haben außer den Spessarterschließungen auch  bedeutende Aufgaben, die durch Besiedlung oder Industrialisierung, Überbevölkerung, Wasser- und Luftverschmutzung entstehen können. Das sind Dinge, die in Zukunft noch viel explosionsartiger auf uns zukommen werden“. Und er fügte den zukunftsträchtigen Satz an: „Naturschutz ist Menschenschutz, die Kulturlandschaft ist unser Kapital.“1                     

Die Ära Josef Braun (1970-1991)

Die Definition der Rolle des Spessartbundes im Bereich Naturschutz sollte intern zu Diskussionen führen. Bundesvorsitzender Braun machte die Position des Verbandes in puncto Naturschutz mit der Äußerung deutlich, dass der Spessartbund nicht „mit Waffen Naturschutz machen“, sondern „mit dem Naturschutz Politik machen“ wolle und dass der „Spessartbund mit seinen 15.000 Mitgliedern … keine Protestpartei“ sei2. Anlass waren die geplante Trinkwasser-Talsperre im Hafen-lohrtal und der Ausbau der B 26. Dazu wurde eine Resolution bei der bayerischen Staatsregierung eingereicht, die Sicherstellung des Trinkwasserbedarfs für Unterfranken ohne Inanspruchnahme des Hafenlohrtals eingehend zu prüfen. Wie weit Naturschutz gehen darf, erläuterte Braun im Jahr 1980 in Bezug auf die neu gegründete Partei „Die Grünen“. In einem Interview legte er sich fest: „Die grünen Eintagsfliegen mit ihren biologischen Zellen dürften sich nicht die Dinge für Zuständigkeiten anmaßen, von den sie nichts verstünden. An der Erhaltung der Umwelt interessierte Jugendliche seien dagegen in den Ortsgruppen des Spessartbundes an der richtigen Adresse.“ 3
In der Folgezeit klafften Anspruch und Realität jedoch auseinander. Grünen und Umweltschutzverbänden gelang es, Kompetenzen in Sachen Umwelt in ihren Reihen zu bündeln. Der Spessartbund agierte eher vorsichtig, mischte sich punktuell ein, kritisierte konkrete Einzelvorhaben, verzichtete aber auf eine programmatische Fixierung. Appelle des Spessartbund-Vorsitzenden für den Einsatz im Naturschutz gab es immer wieder, wie 1983, als Josef Braun  angesichts  des Waldsterbens dafür warb, bereits im Alltag Umweltschutz zu leben, zum  Beispiel  durch  Stromsparen bei Elektrogeräten und Verzicht auf das Auto bei Kurzstrecken.

Flankierend wurde der Heimatkunde-Unterricht in den Schulen von dem Mitglied Prof. Elisabeth Roth von der Universität Bamberg forciert. Sie war treibende Kraft bei der Überzeugungsarbeit für die Ausweitung des Faches Heimatkunde bei der Lehrerausbildung gegenüber der ministeriellen Seite. Tatsächlich leisteten viele Ortsgruppen durch die Bereitstellung heimatkundlicher Sammlungen oder Informationsmaterialien für Schüler und Studenten einen aktiven Beitrag für die Lehre. Hinzu traten Referentenvorträge und Wanderführungen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Spessartbundes in den 1970er und 80er Jahren war die interkulturelle Verständigung. Insbesondere die deutsch-französische Freundschaft wurde gepflegt und lebte von gegenseitigen Treffen und gemeinsamen Veranstaltungen. Ein Highlight war im März 1970 der Besuch von 46 Franzosen zwischen 16 und 24 Jahren aus dem Baskenland bei der Ortsgruppe „Fidelio“ in Schweinheim. Kulinarische und musikalische Völkerverständigung halfen beim Vertiefen der deutsch-französischen Freundschaft: „Freudige Stimmung herrschte an diesem Abend bei dem echt bayerischen Essen (Leberknödelsuppe, Sauerkraut und Rippchen, Kartoffelpüree, Schwarzbrot, Weißbrot und Bier). Die Fidelio-Jugend musizierte.“ Der Spessartbund schloss sich dabei einer europäischen Entwicklung an, denn die Einladung einer baskischen Folkloregruppe im  September 1971 stand unter dem Motto: „Wandern als europäische Bewegung“. Braun betonte hierbei in seinem Grußwort, dass nicht nur die Heimat, sondern auch Brauchtum, Tänze und Musik geschützt werden müssten. Es sei dem Spessartbund auch ein Bedürfnis, etwas von der Arbeit der deutschen Wandersache, die zu einer europäischen Bewegung geworden sei, zu zeigen.4 Dies zeigt auch die Zahl von 2.256 Übernachtungen internationaler Gäste im Ernst-Klug-Haus in Goldbach im Jahre 1973.5 Das 45. Bundesfest im Juli 1974 stand unter dem Motto „Melodien  aus  aller Welt“6. So stellten  sich  die  einzelnen  Ortsgruppen mit spanischen,  mexikanischen und russischen Tänzen vor. Deutsche Märsche und Wanderlieder komplettierten das Programm.
Der sich weiter vergrößernde Spessartbund stand vor der Herausforderung, seine Struktur an die steigende Mitgliederzahl anzupassen. Die Koordination der Aktivitäten von 83 Ortsgruppen mit 12.000 Mitgliedern und die notwendigen Abstimmungen zwischen Dachverband und Ortsgruppen erforderten Fingerspitzengefühl. Es war ein Hauptanliegen des Bundesvorstandes Josef Braun, das „Eis zu brechen“ zwischen Hauptvorstand und Ortsgruppen. Er lud im Februar 1975 zu einer Gesprächsrunde nach Bieber (heute Biebergemünd) ein, bei der die wachsende Markierungsarbeit im Vordergrund stand.7 Schließlich galt es, 2.800 km Wanderwege neu zu markieren, 120 Hinweistafeln zusätzlich anzubringen, neue Karten zu erstellen und Kontakte zu anderen markierenden Mittelgebirgsvereinen wie Rhönklub und Odenwaldklub herzustellen. Braun spannte den Bogen hin zum gemeinsamen Wandern, wollte kulturelle Aktivitäten und die Jugendarbeit fördern und dabei die Menschen mitnehmen und nicht gängeln. Künftig sollten so genannte „offene Gesprächsrunden“ im Ernst-Klug-Haus in Goldbach den Kontakt zwischen den einzelnen Ortsgruppen und der Bevölkerung   verbessern.  Die  Bundeszeitschrift „Spessart“ wurde dabei als besonders wichtiges Sprachrohr und Kommunikationsmittel hervorgehoben. Die Beteiligung von 4.000 Wanderern an der Bundessternwanderung im August 1975 war ein Beleg für die große Akzeptanz des Spessartbundes bei seinen Mitgliedern.8 Die Bedeutung der Kommunikation innerhalb des Spessartbundes für die Zukunft des Verbandes sollte in den kommenden Jahren immer weiter steigen. Ein großer Schritt nach vorne bedeutete 1984 die Einrichtung der neuen Geschäftsstelle in der Strickergasse 16a in der Nähe des Aschaffenburger Schlosses.9 Wenn es auch nur ein kleines Büro war, wurde es doch zur zentralen Anlaufstelle für interne organisatorische Angelegenheiten und Öffentlichkeitsarbeit sowie Koordinationsstelle für die einzelnen Ortsgruppen.

Der Höhepunkt der 1980er Jahre war 1984 der Besuch von Bundespräsident Carl Carstens am 3. Februar im Aschaffenburger Stadttheater, wo er zum ersten Mal die Eichendorff-Plakette an den „Verband Deutscher Gebirgs- und Wandervereine e.V.“ und 15 Mitgliedsvereine verlieh. Darunter waren u.a. der Freigerichter Bund, der Hanauer Spessart-Touristen-Verein und der Verein der Spessartfreunde Aschaffenburg. Die Eichendorff-Plakette ist die höchste staatliche Auszeichnung  für  Gebirgs-  und  Wandervereine  in Deutschland und wird seitdem jährlich an Vereine verliehen, die sich um die Pflege und Förderung des Wanderns, des Heimatgedankens und des Umweltbewusstseins verdient gemacht haben und mindestens 100 Jahre bestehen.
In der Aschaffenburger Stadthalle feierte der Spessartbund 1988 sein 75-jähriges Bestehen. Im Vordergrund standen die bewegte Geschichte des  Wanderverbandes  und  seine  im  Fortgang
der Zeit sich wandelnden Traditionen,  seine  Verdienste in  den  Bereichen Naturschutz,  Wegemarkierung  und  Förderung des  Fremdenverkehrs.10
Gerade die Wegemarkierung war die entscheidende Grundlage für die Förderung des Fremdenverkehrs. Dies wurde auch entsprechend hervorgehoben, so 1980 anlässlich einer Wegewartetagung im Goldbacher „Ernst-Klug-Haus“ mit 97 Wegewarten und Helfern, die mit der Unterhaltung der Wanderwege eine besonders vornehme Aufgabe des Spessartbundes umsetzten.11 Zu  den  neuen Initiativen  zählte  auch  der Versuch, Tourismus für körperlich eingeschränkte Menschen zu ermöglichen, insbesondere beim Besuch eines der Wanderheime des Spessartbundes.12 Im April 1995 erschien dann eine bis dahin einmalige Wanderliste in Bayern für Rollstuhlfahrer mit 35 Tourenvorschlägen. Neue Markierungssymbole ermöglichten es, die Natur auf Rädern zu erkunden.
Im Wanderbereich erkannte man bereits in den 1980er Jahren, dass angesichts der häufig feststellbaren „Wandermüdigkeit“ bei Feriengästen  und selbst bei Vereinsmitgliedern im Bereich Wander-Tourismus mehr Optionen angeboten werden mussten als nur optimal ausgebaute und markierte Wanderwege. Deshalb veranstalteten die Ortsgruppen und der Dachverband  nun Ferien-, Stern- und  Gruppenwanderungen , die den Spessart zum Erlebnis-Urlaub und zu einer persönlichen Erfahrung werden lassen sollten.

Die deutsche Wiedervereinigung wurde von den Wandervereinen mit großem Interesse begleitet.
Viele Wanderziele lagen jetzt in der ehemaligen DDR, wohin man bisher kaum gelangen konnte. Die Spessartfreunde Sulzbach initiierten unter dem Motto „Grenzenloses Wandern“ einen privaten  Kontakt  in  den  Osten.  Nach  einem  Briefwechsel mit einer Wandergruppe aus Sömmerda in Thüringen setzte sich die „Trabbikolonne“ von „drüben“ in Bewegung und fand ihr Ziel im Wanderheim von Sulzbach am Main.14 Ein Gegenbesuch mit Stadtführungen in Sömmerda und Weimar fand im September statt.

Das Jahr 1991 war damit ausgefüllt, „Altlasten“ aus dem Vorjahr zu beseitigen: Orkan Wiebke, der 1990 über Deutschland hinwegfegte, verursachte katastrophale Folgen für das Wegenetz des Spessartbundes. Der Sturm verwüstete in der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1990 ganze Fichten- und Buchenbestände, die bei Windgeschwindigkeiten von 130 bis 200 km/h wie Streichhölzer umknickten. Die Forstämter Aschaffenburg und Alzenau sprachen von einem Schaden in Höhe von 264.000 Festmetern, was dem Holzeinschlag von sechs Jahren entsprach. Viele Wanderwege waren auch ein Jahr danach unbegehbar, wie Hauptwegewart Karl Joa bei einer Wegewartetagung in Großkrotzenburg vermeldete.15 Die Wieder- und Neumarkierung der begehbaren Wanderwege wurde zur Hauptaufgabe für die Wegewarte und ihre Helfer. Die Beseitigung der Schäden hatte bis dahin bereits 2.910 Arbeitsstunden in Anspruch genommen. Der Staatsforst erhielt durch den Spessartbund bei der aufwändigen und kostenintensiven Wiederaufforstung Unterstützung. Mitglieder der Spessartbund-Ortsgruppen Jakobsthal, Heigenbrücken und Heinrichsthal halfen den Waldarbeitern im Heigenbrückener Forst bei der Aufgabe, 5.000 Buchen, 50 Linden und 50 Wildkirschen zu pflanzen.16
1991 rückte der Umweltschutz erneut in den Vordergrund. Im Januar  fand  in Kooperation mit
Gemeinden, Wasserwirtschaftsamt und Anglern eine Fachwartetagung in Marktheidenfeld u.a. zu dem Thema Bachpatenschaften statt. Ziel solcher  Patenschaften  war,  im  Rahmen der Wasserschutzgesetze dafür zu sorgen, das Ökosystem eines Gewässers durch Gewässerpflegemaßnahmen in einem naturnahen Zustand zu erhalten. Weiterhin beteiligten sich an der damals noch jungen Aktion „Sauberer Landkreis“ Kinder und Jugendliche des Wandervereins Hain. So konnte ein neues Biotop angelegt und bepflanzt werden.17

Ein anderes Thema war die Müllverbrennung und -deponierung. Der Trend zu immer mehr billigen Plastiktüten statt umweltfreundlichen und recycelbaren Papiertüten beunruhigte den Spessartbund. Schon damals war auch die Nähe zum Frankfurter Flughafen ein Thema: Eine Anzeige wegen des Ablassens von Kerosin durch Flugzeuge über dem Spessart wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Auch politisch hatte dies keine Folgen: der Landtag kam zu dem Beschluss, dass die Grenzwerte nicht überschritten wären.
Der damals zweite Vorsitzende des Spessartbundes und Abgeordnete im Bayerischen Landtag, Henning Kaul, wurde zum Vorsitzenden des Ausschusses für Landesentwicklung und Umweltfragen gewählt. Außerdem war der Spessartbund  in der unteren Naturschutzbehörde vertreten. Hauptnaturschutzwart Albert Lippert appellierte an die Naturschutzwarte, alles zum Schutz der Heimat zu tun. Er war auch der Initiator von „Naturschutz aktuell“, einer halben „grünen Seite“ im „Spessart“, die über Veranstaltungen, Maßnahmen und Termine informieren und die Naturschutzarbeit zwischen den Ortsgruppen wieder beleben sollte.

Ein Schwerpunkt der Deutschen Wanderjugend (DWJ) im Spessartbund war das Familienwandern.18 Man erkannte die Familie als Nahtstelle zwischen Wanderjugend und Verband und wollte sich von dem Klischee verabschieden, dass Wandern nur etwas für Rentner sei. Familienarbeit sollte in Lehrgängen konkrete Arbeitsanleitungen bekommen, Familienwanderungen erarbeitet werden.
Mit dem Jahr 1991 endete nach 21 Jahren Vorsitz die Ära Josef Brauns, der sich nicht mehr zur Wiederwahl aufstellen ließ.19
Die Ära Heckelmann (1991-2006)
Der neue Vorsitzende des Spessartbundes Hanns-Erich Heckelmann machte sich für die Förderung der Jugendarbeit stark, um die Mitgliederzahl von 17.000 zu sichern sowie um Umwelt- und Naturschutz in den Vordergrund zu rücken.20 Die Beteiligung der Jugend an Veranstaltungen der DWJ konnte sich sehen lassen: Ein Höhepunkt des Jahres war das Sommer-Zeltlager der Spessartbund-Wanderjugend im Schweinheimer Honiggrund mit 140 Kindern und 24 Betreuern aus zwölf Ortsgruppen.21
   
Von der Kulturabteilung kam der Impuls, sich um die Erhaltung von Bildstöcken und Kapellen zu kümmern. Sie seien Ausdruck der Volksfrömmigkeit und originären Religiosität in der Region. Dabei stünde die Kommunikation mit Städten und Gemeinden, Vertretern des Denkmalschutzes sowie Geschichtsvereinen an primärer Stelle, wie Hauptkulturwart Walter Scharwies betonte.22
Bestimmend blieb weiterhin das Thema Umwelt. Das Jahresarbeitsthema 1992 war „Streuobstwiesen als Lebensgrundlage“. Naturschutzwarten und Ortsgruppen wurde vorgeschlagen, bei konkreten Projekten Obstbäume zu schonen, abgestorbene Bäume sich selbst zu überlassen und auf Kunstdünger zu verzichten. Hauptnaturschutzwart Albert Lippert sandte hierzu ein Gesuch an die Regierung von Unterfranken, die den Wunsch nach einem landwirtschaftlichen Fachberater überprüfen sollte.23 Heimat und Umwelt war auch das Motto des 58. Bundesfestes in Gemünden. Redner Henning Kaul betonte, dass Umwelt bereits zum dritten Produktionsfaktor neben Arbeit und Kapital geworden sei. Er bescheinigte dem Spessartbund für den Raum Mainfranken hierbei eine wichtige Rolle.24
Dies dokumentierte sich auch politisch durch den Besuch des damaligen bayerischen Umweltministers Dr. Peter Gauweiler beim Spessartbund im Herbst 1992.
Hauptnaturschutzwart Albert Lippert nahm am 24. November 1993 an einem Treffen der Umweltminister der Länder mit den Vertretern der Umwelt- und Naturschutzverbänden teil. In der gemeinsamen Erklärung hieß es: Die Zukunftssicherheit des Wirtschaftsstandorts Deutschland sei auch von der Schaffung und Bewahrung einer guten Umweltqualität in Deutschland abhängig. Sparsame Energieverwendung und erneuerbare Energien sowie die Reduzierung von Schadstoff-emissionen waren weitere Forderungen. Der Dialog zwischen Umweltverbänden und der Umweltpolitik dürfe auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht abbrechen.25 Der Spessartbund arbeitete hier in vorderster Front mit. Großen Anteil daran hatte Albert Lippert, der mit seinem Grundsatz „Der Wanderer ist ein Naturschützer“ dem Naturschutz in der Wanderbewegung einen hohen Stellenwert zuwies. Im europäischen Naturschutzjahr 1995 berief ihn Bundesumweltminister Klaus Töpfer in den Deutschen Naturschutzring.26 Er sollte Programme zum Thema Naturschutz erarbeiten und als Multiplikator der Initiative dienen.
Bis zum Deutschen Wandertag in Aschaffenburg im Jahr 1997 stand der Naturschutz im Vordergrund. Hanns-Erich Heckelmann übernahm 1994 bei der Vertreterversammlung des Spessartbundes in Lohr das Leitmotiv des Deutschen Wanderverbandes „Zukunft gestalten – Natur erhalten“.27 Pfarrer Anton Heußlein unterstrich in seinem Festvortrag beim Bundesfest 1995 auf der Geishöhe bei Dammbach, dass dieses Motto eine stetige Aufgabe sei: „Sie kann niemals als erfüllt, sie darf auch niemals als erfüllt betrachtet werden“, appellierte er.28

Das Thema Europa wurde für den Spessartbund nach der Deutschen Einigung bei der Pollaschfeier 1992 wieder präsent: Die Ausführungen des Hauptkulturwartes  Walter  Scharwies  treffen an-
gesichts der Währungs- bzw. Europakrise von heute (2012) noch immer den Kern der Sache. Der bürgerferne Paragraphendschungel von Brüsseler Bürokraten, so Scharwies, dürfe nicht „längst zugeschüttete Gräben wieder entstehen lassen. Europa darf nicht das Europa von Institutionen sein, es sollte zum Europa der Bürger gestaltet werden. Das setzt, im Geiste der gegenseitigen Achtung, des Verständnisses und der Wertschätzung, das Kennenlernen von Land und Leuten voraus. Reisen durch ein anderes Land, mit einer Stundengeschwindigkeit von drei bis vier Kilometern helfen uns, Kultur und Menschen dieses Landes zu verstehen.“29 Hier sah Scharwies eine große Aufgabe für die Mitglieder des Spessartbundes und die gesamte Wandergemeinschaft.
Auch das Thema Familie wurde wieder belebt. Der Präsident des Deutschen Wanderverbandes Karl Schneider startete im April 1994 den Aufruf zum Familienwandertag am 15. Mai30, nachdem
die Vereinten Nationen das Jahr 1994 zum Jahr der Familie erklärt hatten. Auch der Vorsitzende des Spessartbundes Heckelmann betonte in seiner Ansprache zum 60. Bundesfest in Hösbach, dass die Familie die „Keimzelle aller Ordnung“ sei. Als kleinstes Gemeinwesen bilde sie die Voraussetzung für ein lebendiges Miteinander und Solidarität. Der damalige Bürgermeister von Hösbach Robert Hain fügte hinzu: „Die Wandervereine in Deutschland haben eine große gesellschaftspolitische Aufgabe. Dazu gehört auch die Familienarbeit, die zu einem festen Bestandteil des Vereinsprogramms werden sollte.“ Wandern fungiere als Bindeglied zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, führt Hain weiter aus. Das soziale Verstehen zwischen den Generationen würde so unterstützt. Familienwandertage und -freizeiten seien Angebote, die sowohl Kinder als auch Erwachsene mit einbeziehen. Das Motto „Jung und Alt durch Feld und Wald“ solle keine Parole bleiben, sondern sei eine Weichenstellung für die Zukunft der Wandervereine. Hain mahnte: „Wer aber in altgewohnter Weise fortfährt und unter Wandern nur das (…) ‚Mitlatschen‘ in der Gruppe bis zur Einkehr bei Rippchen mit Kraut versteht, wird sich bald wundern, dass die Jugend ausbleibt und die Wandervereine allmählich zu besseren Seniorenclubs werden.“31 Knapp zwanzig Jahre danach kann dies mancher Verein bestätigen. Aber es gibt eben auch heute Ortsgruppen, die mit ihren Angeboten Kinder, Jugendliche und junge Familien ansprechen und einen stetigen Mitgliederzuwachs verzeichnen können.

Das Zusammenführen der Generationen war auch ein Hauptanliegen des Ehrenvorsitzenden Josef Braun, der gemeinsam mit Albert Lippert im Mai 1994 vom bayerischen Landesverband die goldene Ehrennadel für langjährige Verdienste erhielt.32

Die Spessartschau bzw. der Spessartkongress in Bad Orb vom 22. bis 29. September 1995 sollte die Vielfalt des Kultur-, Natur- und Lebensraumes Spessart vermitteln. Auf dem Programm standen Themen zur Kulturlandschaft, zu Wald, Gewässer, Boden und Mineralien, Archäologie und Kulturgeschichte, Umwelt und Naturschutz, Tourismus und Wirtschaft, Soziales, Dorfentwicklung und Kultur im Spessart. Das Ganze wurde mit kulinarischen, musikalischen und literarischen Besonderheiten umrahmt.33 Der Spessartbund beteiligte sich an der Vorbereitung und Durchführung des Kongresses und ist auch mit einem Beitrag in der dazu gehörigen Publikation vertreten. 

Das Hauptereignis der 1990er Jahre war der Deutsche Wandertag in Aschaffenburg im Jahr 1997, der für alle Beteiligten ein großer Erfolg wurde. Hanns-Erich Heckelmann erinnerte zum Jahresabschluss noch einmal daran und lobte die Unterstützung der Ortsgruppen und Mitglieder. Der Spessartbund sei eine große Familie und könne große Aufgaben auch nur gemeinsam bewältigen.34

Eine Nachwirkung des Deutschen Wandertages war die Rede von Heckelmann beim 63. Bundesfest in Dudenhofen im Juli 1998. Er erinnerte an die vielseitigen Rollen des Wanderers: Er sei  Botschafter, natur- und heimatverbunden, familienbewusst, kunst- und geschichtsbewusst, Romantiker, gastfreundlich und stets gut gelaunt. Wanderer seien „Menschen, die etwas bewegen wollen.“ So machte sich die Wimpel-Wandergruppe auf den Weg in das 340 km entfernte Bad Driburg, um den Bundes-Wimpel an den Ausrichter des Wandertages des Jahres 1998 zu übergeben.35

Mit dem neuen Jahrtausend erreichte auch den Spessartbund der Trend, seine Aufgaben noch stärker als bislang geschehen unter ein großes Ganzes zu stellen – nämlich in den Dienst der Umwelt. Anlass dazu war die AGENDA 21-Bewegung. So unterzeichneten im Juli 1999 die baden-württembergischen Ortsgruppen des Spessartbundes die Agenda 21-Vereinbarung mit anderen Wandervereinen und der Landesregierung von Baden-Württemberg.36 Ein Jahr zuvor kam bereits in Bayern ein solches Abkommen zustande. Die Vereine verpflichteten sich, die Wegenetze intakt zu halten und ausreichend zu markieren. Die Vermittlung von ökologischem Wissen mit fachgerechten Exkursionen und Wanderungen wurde in der Ausbildungskonzeption für Wanderführer seitens des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport berücksichtigt. Heute mündet dies in die  bundesweite Anerkennung der Wanderführer-Ausbildung.

Das neue Jahrtausend brachte für den Spessartbund einen neuen Impuls durch das Archäologische Spessart-Projekt (ASP), das aus dem Spessartkongress 1995 hervorgegangen war. Henning Kaul sah bereits im Jahr 2000 die enge Verknüpfung mit dem Spessartbund, da es beim ASP neben der wissenschaftlichen Erfassung, Auswertung und Erschließung von archäologischen Bodendenkmälern auch um die Wegearbeit, die Wanderführerausbildung und um die Kulturarbeit ginge.37 Gerrit Himmelsbach und Gerhard Ermischer erhielten bei der Vertreterversammlung in Großkrotzenburg Gelegenheit, sich und ihre Projektarbeit vorzustellen.38

Der europäische Gedanke spielte bei der Stafettenwanderung Euro Rando 2001 eine wichtige Rolle.39 An dieser ersten europäischen Sternwanderung nahmen insgesamt 178 Mitglieder des Spessartbundes aus 19 Ortsgruppen teil. Startpunkt war die Burg Brandenstein bei Schlüchtern. Die erste Etappe folgte entlang der Kinzig über Bad Orb nach Gelnhausen. Unterwegs schlossen sich die Europaabgeordnete Ursula Schleicher und der 2. Hauptvorsitzende Henning Kaul der Wandergruppe an. Ein Abschlussprogramm auf dem Großen Feldberg im Taunus rundete das Ereignis ab. Das große Finale fand in Straßburg statt. Im veröffentlichen Bericht hieß es: „Auf 10 Routen, weitgehend auf alten Traditionswegen oder europäischen Fernwanderwegen, die durch 24 Länder Europas führten, sind alle 10 Stafetten in Straßburg eingetroffen, nach rund 400 Tagen und unter Beteiligung von fast 200.000 Menschen.“40 Jan Hawelka, Präsident der Europäischen Wanderbewegung, bezeichnete die Stafettenwanderung als einen Meilenstein in der Geschichte der Europäischen Wandervereinigung (EWV). Es sei eine große Gemeinschaftsleistung gewesen und eine noch intensivere Zusammenarbeit der Wandervereine in Europa habe begonnen.

2002 wurde Dr. Gerrit Himmelsbach zum Dritten Hauptvorsitzenden gewählt. Er übernahm diesen
Posten von Heinz Weber, der zum Ehrenvorsitzenden ernannt wurde. In seiner Gedenkrede bei der Pollaschfeier 2003 erinnerte Himmelsbach an die herausragende Rolle des Spessartbundes als Kulturträger des Naturraums Spessart. Er erwähnte Karl Kihn als einen der Pioniere bei der Erschließung des Spessarts als Kulturlandschaft, der auch die Zusammenführung der Wandervereine zum Spessartbund 1913 veranlasste. Die Verbindung von Wandern, Geschichte und Naturschutz habe eine lange Tradition. Dieses Erbe könne man nicht ablehnen, sondern müsse es für die Zukunft und die nächsten Generationen bewahren und gestalten.41
Im gleichen Jahr brachte der Bundesvorsitzende Hanns-Erich  Heckelmann  die   engere Zusammenarbeit mit dem Naturpark Spessart auf den Weg, indem er die Neumarkierung der Wanderwege initiierte.42 Dieses Projekt war eine logistische und finanzielle Herausforderung für den Spessartbund, die dank der engagierten Mitarbeit seiner Mitglieder unter der Leitung der Familie Schuck in einem Zeitraum von sieben Jahren bewältigt werden konnte.

Im gleichen Jahr wurde der Zusammenhang von Familie und Kommunikation im Spessartbund deutlich. Bei der Vertreterversammlung appellierte der Bundesvorsitzende Heckelmann an den Familiengeist im Spessartbund. Helmut Winter, heute stellvertretender Vorsitzender, bezeichnete
den Spessartbund als „Dienstleister für Körper, Geist und Seele.“43 Er beklagte einerseits starke
Individualisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen und zunehmende Bindungslosigkeit, die auch vor den Familien nicht halt mache. Daneben sah er aber auch engagierte Erwachsene und Jugendliche, Verantwortliche im Ehrenamt, die Orientierung geben und gegen das materielle Denken immaterielle Werte setzten. Das Vereinsleben fungiere in dieser Hinsicht beim Wandern, in der Naturerfahrung, im Entdecken der Kulturlandschaft und im Miteinander der Generationen wie ein „sozialer Kitt“ für Jugendliche und Erwachsene. Der  Spessartbund  habe die Idee einer Lebensgestaltung im Einklang von Mensch, Natur, Kultur und Wirtschaften im Auge und sei so ein Gegenmodell zur ökonomischen Vereinnahmung des Menschen und zur Entfremdung durch Naturferne.

2005 konnte der Spessartbund im Rahmen seines Bundesfestes innerhalb des 10-jährigen Jubiläums des ASP den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde feiern. 383 Musiker bildeten das weltweit größte Mandolinenorchester auf dem Winzerfestplatz der Marktgemeinde Bürgstadt.44  Die Mandoline als traditionelles Instrument der Spessarter Wandervereine  bot  die optimale  Basis für diesen Weltrekord.45 Ein Meilenstein im Wanderbereich stellte die Ausweisung der Spessartwege 1 und 2 mit dem Gütesiegel „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ dar.46

Im Juli 2006 öffneten sich die Pforten der neuen Spessartbund-Geschäftsstelle in der Treibgasse 3
in Aschaffenburg47, sozusagen das Vermächtnis von Hanns-Erich Heckelmann für seinen Spessartbund, denn er organisierte die Auswahl des Geschäftes, überwachte die Planung und Ausführung. Der Spessartbund als Dachverband für Wander-, Kultur- und Heimatvereine mit damals 90 Ortsgruppen und 18.000 Mitgliedern konnte durch diese zentrale Anlaufstelle die zunehmende Aufgabenkomplexität bündeln. Die gute Lage
in der Fußgängerzone der Innenstadt bietet zudem die Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit besser zu präsentieren.49

Im November 2006 wurde Dr. Gerrit Himmelsbach zum neuen Bundesvorsitzenden des Spessartbundes gewählt.

 

Bildnachweis:
Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Bilder dem Archiv des Spessartbundes.

Anmerkungen:
 1    Main-Echo, 24.10.1970
2    Lohrer Echo, 27.6.1978/ Spessart, August 1978
3    Main-Echo, 18.3.1980
4     Aschaffenburger Volksblatt, 15.9.1971
5     Spessart, Februar 1974
6     Spessart, Juli 1974
7     Spessart, Februar 1975
8     Spessart, August 1975
9     Volksblatt, 23.10.1984
10     Main-Echo, 23.3.1988
11    Main-Echo, 2.4.1980
12    Main-Echo, 2.6.1980
13    Main-Echo, 03.04.1995
14    Spessart, Januar 1991
15    Spessart, Juli 1991
16    Main-Echo, 02.05.1990
17    Spessart, Juli 1991
18    Spessart, Juli 1991
19    Main-Echo, 11.11.1991
20    Spessart, Januar 1992
21    Main-Echo, 02.08.1991
22    Spessart, Mai 1992
23     Main-Echo, 02.08.1991
24    Spessart, Oktober 1992
25    Spessart, Februar 1994
26    Main-Echo, 07.05.1994
27    Spessart, Dezember 1994
28    Spessart, August 1995
29    Spessart, November 1992
30    Spessart, April 1994
31     Spessart, August 1994
32    Main-Echo, 06.05.1994
33    Spessart, September 1995
34    Spessart, Dezember 1997
35    Spessart, August/Oktober 1998
36    Spessart, Oktober 1999
37    Main-Echo, 21.03.2000
38    Main-Echo, 13.11.2000
39    Spessart, Oktober 2001
40    Spessart, November 2001
41    Spessart, November 2003
42    Main-Echo, 19.07.2003
43    Spessart, Dezember 2003
44    Main-Echo, 26.09.2005
45    Main-Echo, 13.07.2005
46    Spessart, Oktober 2005
47    Main-Echo 05.07.2006
48    Spessart, August 2006
49    Main-Echo, 13.11.2006

Zu Ehren von Josef Braun wurde in Waldaschaff der Josef-Braun-Weg eingeweiht.

Trachtengruppe des Spessartbundes (Foto: Konrad Weigel)

Obernburger Jugendgruppe unterwegs (1977)

Jugendliche der Großwelzheimer Wanderfreunde mit Betreuern beim Zeltlager im Jahre 1982 in Schöllkrippen

Bundespräsident Carl Carstens bei der Verleihung der Eichendorff-Plakette am 3. Februar 1984 in Aschaffenburg

Großwelzheimer Wanderfreunde im Festzug zum Bundesfest 1988 in Oberndorf-Bischbrunn

Mitte der 90er Jahre übernahmen eine ganze Reihe Ortsgruppen Bachpatenschaften.

Drei Generationen im Spessart unterwegs

Hanns-Erich Heckelmann 1995 bei der Einweihung des Dettinger Wanderheims

Wanderer des Spessartbundes beim Festzug in Aschaffenburg. Mit dabei war Oberbürgermeister Willi Reiland. (Foto: Rigobert Hockmüller)

1997: Wimpelträger beim Aufstieg zum Aschaffenburger Schloss (Foto: Rigobert Hockmüller)

Die Wimpelgruppe des Spessartbundes beim Deutschen Wandertag 1998 in Bad Driburg

2012 erneut mit dem Qualitätssiegel ausgezeichnet: Die Spessartwege 1 und 2.

Die 2006 neu bezogene Geschäftsstelle in Aschaffenburg, Treibgasse 3. Zu Besuch ist eine Tanzgruppe aus Varoslöd / Ungarn.

Grill- und Hüttenfeste von Nachbar vereinen werden gerne besucht.

Reif für den Eintrag in das Guinness-Buch: Das größte Mandolinenorchester der W elt (2005 in Bürgstadt)

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