Vorgänger und Vorbilder bis zu Gründung des Spessartbundes (1876 bis 1913)

von Carsten Pollnick

Ob Clemens Brentano (1778-1842), Achim von Arnim (1781-1831), Ludwig Uhland (1787-1862), Heinrich Heine (1797-1856), Theodor Fontane (1819-1898) oder in jüngster Vergangenheit Kurt Tucholsky (1890-1935) mit seinem „Wirtshaus im Spessart“, alle diese berühmten Schriftsteller förderten mit ihren Liedern und Gedichten das Wandern. Ob absichtlich oder unabsichtlich, das sei dahingestellt. Waren es in der Zeit der Romantik (Ende des 18. Jahrhunderts bis zu Beginn des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts) naturbegeisterte Individualisten, die sich Flora und Fauna per pedes erwanderten, so begannen ab den 1860er Jahren etliche Gruppen des gehobenen Bürgertums planmäßig die Heimat zu erkunden, was an den Berufen der jeweiligen Mitglieder abzulesen ist (Lehrer, Gerichtsräte, Ärzte, Handelsleute); „einfache“ Bürger waren zunächst selten aktiv.

Diese bewusste Entdeckung der Natur, angeregt zusätzlich von Malern mit ihren Landschaftsbildern, musste zwangsläufig zu Organisationen mit Vorständen führen, die sowohl Verantwortung übernehmen als auch das gezielte Wandern planen. Auch geographisch entfernt liegende Gruppen sollten sich bald näher kommen, denn die seit 1854 durch den Spessart führende Eisenbahn ließ die Postkutschen in Vergessenheit geraten und ausgewählte Ziele schneller und bequemer erreichen.
Es lag auf der Hand, dass die ersten Wandervereine, das Laufen in der Natur, der Ausgleich zum anstrengenden Alltag, in von Naturlandschaft prädestinierten Gebieten entstanden.
Der älteste deutsche Gebirgs- und Wanderverein ist der Badische Schwarzwaldverein, der 1864 in
Freiburg im Breisgau gegründet wurde. Bei ihm stand die Hebung des Fremdenverkehrs im Vordergrund, obwohl er noch keine echte Interessenvertretung war. Vier Jahre später wurde der „Taunusklub“ gegründet, dessen Initiator und erster Vorsitzender der Frankfurter Kartograph, Topograph und Buchhändler Friedrich August Ravenstein (1809-1881) war. In seine Statuten schrieb sich der Verein die Heimatpflege, die Förderung des Fremdenverkehrs und damit vor allem die Bekämpfung der Not im strukturarmen Taunus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Wanderwege markiert. Für die Wegebezeichnungen – später auch Vorlage für den Spessartbund – wählte man den Großen Feldberg. Die planmäßige Wegebezeichnung mit farbigen Zeichen erfolgte ab 1887.

Neben dem Spessart war auch das Mittelgebirge Rhön eine Landschaft der „armen Leute“. Um die ökonomische Lage der Bewohner zu verbessern, ihnen Erwerbsmöglichkeiten zu bringen, den Verkehr zu erschließen, beschloss Dr. Justus Schneider (1842-1904), Mediziner aus Fulda, mit zahlreichen gleichgesinnten Bürgern die Gründung des Rhönklubs am 6. August 1876 in Gersfeld. Hier erschien 1897 erstmals eine „Rhön-Wanderkarte“.

Diese Vereine außerhalb des Gebietes des späteren Spessartbundes nahmen durch ihre Tätigkeiten Einfluss auf dessen Gründung im Jahr 1913.

Der „Freigerichter Bund“

Karl Kihn (1854-1934), Medizinstudent aus der „Brückenmühle“ bei Michelbach im Kahlgrund, hatte von der Gründung und den anfänglichen Ideen und Aktivitäten aus dem Schwarzwald gehört. Da er schon in jungen Jahren das Freigericht1 seiner Zeit durchwandert und seine Geschichte studiert hatte, war klar, auch hier musste ein Verein mit ähnlichen Zielsetzungen wie im Breisgau entstehen. Und so geschah es auch: Am 2. Oktober 1876 traf sich Karl Kihn mit einigen Bekannten und lokalhistorisch interessierten Wanderfreunden in der Michelbacher Gastwirtschaft „Zum weißen Roß“ (später „Cafe Linde“), betrieben von der Familie Wenzel, und gründete mit ihnen den „Freigerichter Bund“. Ihr Ziel war es, den Tourismus im gesamten Gebiet des historischen Freigerichts zu fördern.2

Bereits fünf Tage später, am 7. Oktober, trafen sich die Gründer mit dem Bürgermeister von Albstadt, Lorenz Schneider, in dessen  Gaststätte „Wittelsbacher Hof“ und unterzeichneten die Stiftungs-urkunde, in der es unter anderem heißt: Unter der Bezeichnung ‚Freigerichter Bund’ besteht in den Orten des ehemaligen Freigerichtes ein Verein mit dem Zwecke, Touristen den Besuch des Freigerichts angenehm zu machen durch Verbesserung der Fußwege, Anbringung von Wegweisern, Ruhesitzen und dergleichen, ferner das einschlägige geschichtliche und naturwissenschaftliche Interesse wachzurufen und zu fördern. Sitz des Vereins ist Alzenau.3 Auch die Bedingungen einer Mitgliedschaft im Verein wurden sofort formuliert und festgeschrieben: Ordentliche Mitglieder können unbescholtene Bewohner des Freigerichtes werden, andere, die weder stammbürtig noch stammberechtigt sind, können als außerordentliche und auch als Ehrenmitglieder aufgenommen werden.4 Festgelegt wird auch die Zusammensetzung des Vorstandes: Der erste Vorsitzende des Bundes führt den geschichtlichen Namen Gauvogt, ihm steht ein Vizegauvogt zur Seite, Markwart (Kassier) und Schriftwart unterstützen den Gauvogt und den Vizegauvogt in der Führung des Bundes [. . .].5 Die Unterzeichner des „Vertrages“ sind Karl Kihn, cand. med. aus Michelbach; Gottfried Kronenberger, Lehrer aus Somborn; Beck II, Lehrer aus Orb; Martin Weber, Lehrer aus Neuses; Valentin Michel, stud. jur. aus Somborn und der Lehrer  Auler aus Kahl. Erster Gauvogt vom „Freigerichter Bund“, dessen Mitgliederzahl in den ersten zwei Jahren nach der Gründung schon über 200 beträgt, wird der Somborner Lehrer Gottfried Kronenberger.

Der „Spessart-Touristen-Verein Hanau“

Im Gasthaus „Zur Post“ von Ludwig Reuß wird am 11. September 1879 der „Spessart-Touristen-Verein Hanau“ gegründet, Ludwig Reuß, begeisterter Wanderer und Naturfreund zum Ersten Vorsitzenden, Karl Hochreuter zum Schriftführer und Louis Günz zum Kassierer gewählt.

Gleich im ersten Vereinsjahr unternahm man sieben Wanderungen, an denen sich durchschnittlich elf Wanderlustige beteiligten. Die Führer mussten sich die Wege oft unter schwierigsten Verhältnissen selbst suchen.6

Zu Beginn war der Verein – sein Vorbild ist der „Freigerichter Bund“ – nur ein loser Zusammenschluss natur- und wanderfreudiger Bürger Hanaus und Umgebung. Bald wurde er jedoch ein festgefügtes Gebilde, das die Erreichung seine Ziele und Aufgaben ständig vorantrieb. Er verlegte, wie der Name schon sagt, seine Haupttätigkeit in den Spessart. Die Mitglieder wollten aber nicht nur im Spessart wandern und dessen Flora und Fauna erkunden, sondern auch helfen, dieses herrliche, urwüchsige Mittelgebirge der Allgemeinheit zu erschließen und den Sinn für die Heimatliebe zu pflegen.

Der „Verein der Spessartfreunde – Stammklub Aschaffenburg von 1880“

Bevor es zur „Geburt“ des Vereines der Spessartfreunde kam,  führten seine Initiatoren, der Gutsbesitzer Julius Rexroth (1839-1902) aus Lichtenau und der kgl. Landgerichtspräsident Christian Nöthig (1835-1900) aus Aschaffenburg, zahlreiche Gespräche, vor allem am späteren Gründungsort im Gasthaus „Zur Löwengrube“, unweit des Bahnhofes von Heigenbrücken. Dabei nahmen sie bei ihren Planungen, Organisationen und Zielsetzungen den „Taunusclub“ und den Rhönklub als Vorbilder.

Nach der Konstituierung eines honorigen Gründungsgremiums7, das die entsprechenden Vorarbeiten leistete und definitive Festschreibungen über Zweck und Ziel des Vereines entwarf, wurden Einladungen an viele Personen in Aschaffenburg und Umgebung verschickt. Der Termin auf die Gründungsfeier war absichtlich auf das bevorstehende Osterfest festgelegt worden, da die Arbeitnehmer frei hatten. Zur bevorstehenden Gründung heißt es als Ankündigung in der Presse: Aus dem Spessart wird Frankfurter Blättern geschrieben: Es wird den Mitgliedern des ‚Taunusclub‘ und allen Touristen sowie Naturfreunden von Interesse sein zu erfahren, daß auch für den Spessart sich ein Touristen-Club zu bilden im Begriffe ist. Eine größere konstituierende Versammlung findet am Ostermontag (29. März) Nachmittags in Heigenbrücken in dem malerisch gelegenen Hotel Fleckenstein statt. Der neue Club wird jedenfalls seine Aufgabe, den Spessart zu erschließen, leichter lösen können, wenn auch Auswärtige sich ihm als Mitglieder in größerer Zahl anschließen.8 Diese Art der Werbung sollte sich in Zukunft positiv für die Entwicklung des Vereines erweisen.

Einen Tag später wurden ebenfalls über die Presse Zweck und Ziel der „Spessartfreunde“ bekannt gegeben. Dazu heißt es unter anderem: […] Zweck dieses Vereins ist, das Interesse für den Spessart zu beleben, die Kenntnis desselben in touristischer und auch in wissenschaftlicher Beziehung zu fördern, und seinen Besuch zu erleichtern und anziehender zu machen. Dieser Zweck soll hauptsächlich erreicht werden durch gemeinschaftliche Exkursionen in Spessart und Nachbarschaft, in Versammlungen mit wissenschaftlichen Vorträgen und geselliger Unterhaltung, durch Fürsorge für Schaffung guter Karten und Tourbeschreibungen über den Spessart, durch Sorge für die Herstellung von Ruheplätzen und Zugängigmachung und Einrichtung von Aussichtspunkten,  durch  Aufstellung  von  Wegweisern und Ausbildung von Führern, durch Einwirkung auf die Verbesserung der Gastwirtschaften und durch Verbreitung der Vorzüge und Naturschönheiten des Spessarts mittels Presse. Zur Beschaffung der nöthigen Mittel soll jedes Mitglied einen Jahresbeitrag von einer Mark zahlen [. . .].9

Am 29. März 1880 ist es dann soweit: In der schon erwähnten „Löwengrube“ kommen Freunde des Spessarts und seiner Natur und Kultur zusammen, um den „Verein der Spessartfreunde“ zu gründen. Das Hauptkontingent stellen Aschaffenburg und Lohr, der „Spessart-Touristen-Verein Hanau“ und der „Taunusklub Frankfurt am Main“. Viele unterschiedliche Berufsgruppen sind vertreten, allerdings nur wenige Arbeiter, über 100 kann der Verein noch am Gründungstag vermelden. Als Hauptsitz wird Aschaffenburg, der Vorstand zunächst für ein Jahr gewählt, der sich  neben  dem Vorsitzenden Jakob Christian Nöthig wie folgt zusammensetzt: Dr. Karl Prantl, kgl. Professor für Botanik an der Forstlehranstalt, Aschaffenburg; Josef Karl Pflaumer, Hauptmann; Adolf Stoll, Bankkontrolleur; Josef Simmler, Amtmann, alle aus Aschaffenburg; August Keßler, Bürgermeister und Hotelier in Lohr, Josef Schiele, Privatier in Lohr; Julius Rexroth, Gutsbesitzer in Lichtenau, und Josef Bohr, kgl. Post- und Bahnexpeditor in Heigenbrücken. Verabschiedet wird auch ein Satzungsentwurf, der wenig später in gedruckter Form vorliegt.10

Bereits am 6. April 1880 fand in der „Löwengrube“ die erste Ausschusssitzung statt und der Vorsitzende konnte bekanntgeben, dass sich bereits 170 Mitglieder aus 34 Gemeinden dem Verein angeschlossen haben. Danach wurde ein Programm für das noch laufende Jahr mit acht bis zehn Ausflügen und drei wissenschaftlichen Vorträgen verabschiedet. Der „Verein der Spessartfreunde“ war etabliert, in der Landschaft der Wander- und Naturvereine angekommen.

Die Markierung der Wanderwege war eine Aufgabe, der sich der Spessart-Touristen-Verein Hanau schon sehr früh stellte. Die Innenseite dieser von der „Verkehrs-Kommission der Hanauer Touristen-Vereine“ 1903 herausgegebenen Karte „Touristenwege durch die Bulau, auf den Hahnenkamm, in den Vorspessart und den nördl. Spessart“ zeigt die Markierungszeichen und gibt die Stationen der Wanderwege mit der Zeitdauer an. Die Karte kostet 25 Pfennig. Der Erlös war zum Ausbau des Hahnenkammhauses bestimmt.

 

 

Anmerkungen:

1    Zum Freigericht gehörten zu dieser Zeit die Pfarreien Al- zenau, Hörstein, Mömbris und Somborn.
2    Vgl. www.wandern-in-alzenau.de: Wandern in Alzenau – Freigerichter Bund e. V.
3    Vgl. POLLNICK, Carsten: Chronik Verein der Spessart- freunde, Stammklub   Aschaffenburg, 1980, S. 15.
4    Ebenda.
5    Ebenda.
6    KELLER, Hermine: Geschichte, Organisation und Tätig- keit des Spessartbundes. Zulassungsarbeit zur 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen. Würzburg 1970, S. 18.
7    Zum Gründungsgremium zählen neben Julius Rexroth aus Lichtenau und Jakob Christian Nöthig aus Großost- heim, der Magistratsrat Ernst Schultz aus Aschaffenburg, der Kaufmann Carl Stadelmann, der Arzt Dr. Karl August Fröhlich, der Bahnkontrolleur Adolf Stoll, der Bezirksge- richtsrat Franz Englert, alle aus Aschaffenburg, der Sozius des Laufacher Eisenwerkes Wilhelm Fehr, der Holzhändler Johann Adam Matre aus Rechtenbach, der Postexpeditor Alois Biebel aus Lohr, der Bürgermeister und Hotelier Au- gust Keßler aus Lohr, der Bürgermeister und Holzhändler Sylvester Bachmann und der Post- und Bahnexpeditor Josef Bohr, beide aus Heigenbrücken.
8    Beilage zur Aschaffenburger Zeitung (künftig zit. AZ) vom 23. März 1880.
9    AZ vom 24. März 1880.
10    Vgl. POLLNICK (Anm. 3), S. 18f.
 

Bildnachweis:
Bild 1: Bildarchiv des Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg (SSAA), Foto Samhaber; Bild 2: Main-Echo-Archiv; Bild 3: Bildarchiv Stadt Alzenau, Sammlung Hubert Kern; Bilder 4-7,9-11: Archiv des Spessartbundes, Bild 8: Bildarchiv Hel- mut Stadelmann

Typische Spessartlandschaft mit Ortschaft Neudorf/Mespelbrunn um 1890.

Als Medizinstudent gründete der Michelbacher Karl Kihn 1876 den „Freigerichter Bund“ mit Sitz in Alzenau.1909 wurde der „Spessartvater“ Vorsitzender der Spessartfreunde Aschaffenburg.1913 war er als Vertreter dieses Vereins in Hanau Mitgründer des Spessartbundes.

Der 1880 unter der Schirmherrschaft des bayerischen Königs Ludwig II. vom Freigerichter Bund erbaute Hahnenkammturm

Postkarte mit einem Gemälde von Pedro Schmiegelow,1913 verlegt vom Freigerichter Bund (Sammlung Hubert Kern im Stadtarchiv Alzenau).

Das Programm des Hanauer Spessart-Touristen-Vereins zum 25jährigen Jubiläum (1908) ist ein Beleg für die Orientierung des Vereins am Geschmack des (gehobenen) Bürgertums.

Wanderprogramm des Spessart-Touristen-Vereins Hanau für das Wanderjahr 1911.

Ausflug zum Hahnenkamm im Sonntagsstaat: Wandergruppe des Vereins der Spessartfreunde Aschaffenburg (1902).

Carl Stadelmann, Kaufmann und Fabrikbesitzer, war 1885 Mitglied im Gründungsgremium des Vereins der Spessartfreunde Aschaffenburg. Verheiratet war er mit der Tochter des Gründers der Aschaffenburger Buntpapierfabrik Albert Nees & Co.

Jakob Christian Nöthig (1835-1900), Landgerichtspräsident, war Gründer und 1. Vorsitzender des Vereins der Spessartfreunde Aschaffenburg.

Ausflug von Mitgliedern des Vereins der Spessartfreunde Aschaffenburg in den Strietwald: Damen und Herren im Sonntagsstaat, die Damen hochgeschlossen und knöchellang mit prächtigem Kopfschmuck, die Herren mit Fliege oder Krawatte und (meist) mit Hut (vor 1913).

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